Perspektiven schaffen – drogenfrei leben – nachhaltig wirtschaften

Als Gasthelferin in Fleckenbühl

Mitte 2017 konnte ich mit 65 Jahren aus meinem sozialen Beruf in Rente gehen. Zuhause fiel mir nach einer Erholungszeit „die Decke auf den Kopf“. Ich beschäftigte mich mit Lebensgemeinschaften und interessierte mich für die Demeter-Landwirtschaft.

Das Hofgut Fleckenbühl hatte mich schon lange bei Besuchen von Sommerfest und Hofladen beeindruckt. Mit über 100 Menschen ist es die größte Lebensgemeinschaft, die ich bisher besuchte.

Nach einem langen Gespräch mit der Hausleiterin Dagmar Feist konnte ich ein vierwöchiges Praktikum vereinbaren (ohne die Wochenenden). Im April 2018 nahm ich zwei Wochen am „Bootcamp“ teil, der Eingangsphase für die Neuen. Dann lernte ich die Jugendhilfe Leimbach mit der Gärtnerei kennen und danach den Arbeitsbereich Landwirtschaft. In den folgenden Monaten kam ich mehrmals für jeweils einige Tage zur Mitarbeit oder auch zu Veranstaltungen, z.B. zu den Fleckenbühler Tagen, auf den Hof. In der Gärtnerei in Leimbach konnte ich ab und zu tageweise zum Beispiel Pflänzchen umtopfen.

Auf dem Kartoffelfeld, in der Halle beim Sortieren der Kartoffeln, in der Gärtnerei oder abends im „Wohnzimmer“ konnte ich oft in Gespräche kommen. Durch eine Naikan-Woche lernte ich einen neuen Umgang mit meinen Problemen kennen.

Überrascht hat mich, mit welcher Intensität ich mit der Trauer über den „verlorenen“ Teil meiner Kindheit und Jugend in Kontakt kam. Mein Vater (1921 – 1980) war schwer alkohol- und nikotinsüchtig seit dem Krieg. Er kämpfte damit, ohne Hilfe von außen. Als Familie lebten wir zunehmend in Ohnmacht und Isolation wegen seiner unberechenbaren beleidigenden Ausbrüche mit Filmrissen.

Überrascht hat mich auch, wie gut es mir tut, in Fleckenbühl zu sein. Die Zusammenarbeit, die Gespräche, Situationskomik, die wache Aufmerksamkeit, die kluge Hausordnung, die Fürsorge für die Kinder, die gepflegten Mahlzeiten… Ich freue mich, die erste, relativ schnelle körperliche Erholung bei einigen der neu Aufgenommenen zu sehen. Ich freue mich über die durch viele Krisen gewonnene Stärke im Konfliktverhalten und auf der beruflichen Schiene bei denjenigen, die länger nüchtern leben. Wenn ich einige Tage mitgearbeitet habe, brauche ich auch die Teilnahme am Spiel, weil ich natürlich die Alltagskonflikte teilweise mitbekomme. Mit jeder dieser Anstrengungen für das zusammen leben und arbeiten wächst mein Respekt. Ich danke euch für diese Offenheit.

Das Anliegen und die Bereitschaft, jederzeit, Tag und Nacht süchtige Hilfesuchende aufzunehmen und sich um sie zu kümmern, kann nur mit klaren Regeln und Tagesstrukturen funktionieren. Vor allem aber wirkt auch ein sehr starkes Engagement zusammen mit langjähriger Erfahrung.

ILLA HOFMANN

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